Neue Forschungen Was wir über die Rituale der Maya glauben, ist falsch (2024)

Neue ForschungenWas wir über die Rituale der Maya glauben, ist falsch

Die Maya opferten ihren Göttern reihenweise Menschen, vor allem junge Frauen, nahm man lange an. Forscher haben nun Knochen aus Massengräbern analysiert – und Überraschendes gefunden.

Jakob Wetzel

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Nicolaus Seefeld interessierte sich eigentlich nur für das Wasser: Er wollte erforschen, wie sich die Maya im Westen der Halbinsel Yucatán versorgten und wie das ihre Gesellschaft prägte. Doch dann stiess der Archäologe von der Universität Bonn in einer Maya-Zisterne, einem sogenannten Chultún, auf menschliche Knochen.

In dem Frischwasserbehälter in der einstigen Stadt Uxul hatten die Maya Frauen und Männer, Kinder und gar ein Neugeborenes beigesetzt, vermutlich im frühen siebten Jahrhundert nach Christus. Die Körper hatten sie zerstückelt, die Knochen in rund 6000 Fragmente zerschlagen. Seefeld begann also, mit Knochenteilchen zu puzzeln. Was war in Uxul nur geschehen?

Der Fund in Uxul ist das am besten erhaltene Massengrab der Maya, das in den vergangenen Jahrzehnten entdeckt worden ist, aber nicht das einzige. Nun legen gleich mehrere Teams neue Erkenntnisse vor. Sie zeichnen ein immer genaueres Bild davon, wie die Maya Menschen opferten – und warum.

Löcher in die Unterwelt

Wasserstellen waren für die Maya wertvoll: Sie siedelten grundsätzlich in Hügelgebieten, und umso wichtiger seien Orte gewesen, an denen sie frisches Wasser schöpfen konnten, sagt Seefeld. Zugleich waren sie bereit, diese kostbaren Stätten für ihren Glauben wieder aufzugeben.

Offene Karstlöcher, sogenannte Cenotes, sind heute beliebte Badeorte für Touristen. Den Maya galten sie dagegen mutmasslich als Verbindungen zur Unterwelt und wurden oft für religiöse Opferrituale genutzt.

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Uxul liegt im Urwald von Yucatán, etwa 35 Kilometer südwestlich von Calakmul, einem Stadtstaat der Maya, der in deren sogenannter klassischer Zeit mächtig war. Uxul florierte vor allem im siebten Jahrhundert nach Christus. Seit 2018 ist Seefeld nun ausschliesslich damit beschäftigt, die Funde aus der dortigen Zisterne zu untersuchen.

Leichen wurden in der Zisterne in Einzelteile zerlegt

Dass etwas mit den Toten nicht stimmte, hatte Seefeld bereits beim Ausgraben bemerkt. Denn die Schädelknochen lagen nicht dort, wo sie bei einem am Stück bestatteten Menschen zu vermuten gewesen wären. Bei der Analyse kamen dann immer mehr Einzelheiten ans Licht:

Die insgesamt 20 Toten in der Zisterne kamen nicht aus der Region, sondern aus dem Südwesten. Von dort waren sie vermutlich als Kriegsgefangene nach Uxul verschleppt und dort hingerichtet worden; den meisten wurde laut Seefeld mit einer Steinklinge der Kopf abgeschnitten.

Grabbeigaben gab es keine, doch aus dem Zahnschmuck lässt sich schliessen, dass es sich um Angehörige eines Adelsgeschlechtes handelte. Und diese wurden in der Zisterne kurz nach ihrem Tod systematisch in ihre Einzelteile zerlegt. Die Leichen wurden mit Klingen aus Obsidian sowie mit gröberen Feuersteinwerkzeugen entfleischt und die Gebeine in Stücke geschlagen.

Die Fragmente verteilten die Maya schliesslich in der Zisterne. Zudem wurden die Knochen auf etwa 200 Grad Celsius erhitzt, wohl um das Muskelgewebe leichter ablösen zu können. Was mit dem Weichteilgewebe danach geschah, ist unklar. Neben den zerschmetterten Knochen lagen in der Zisterne auch Überreste von Tieren.

Das Grab versiegelten sie geruchsdicht mit Lehm

Seefeld sieht in diesem Massengrab Hinweise darauf, dass die Maya anatomisch versiert waren: Sie hätten zum Beispiel genau gewusst, wie man effektiv menschliche Schädel öffne. Bei den Toten lagen ausserdem Klingen; diese gehören für ihn zu speziellen Werkzeug-Sets, welche die Maya eigens für die Arbeit in der Zisterne zusammengestellt hatten.

Denn einige Klingen waren noch nahezu intakt: Offenbar wollten die Menschen sie nicht mehr für andere Zwecke verwenden, nachdem sie mit ihnen die Toten zerlegt hatten.

Nach getaner Arbeit deckten die Maya die Toten mit Geröll zu und versiegelten das Grab geruchsdicht mit Lehm, gaben die Zisterne also auf. Auf der Lehmschicht hinterliessen sie neben einem 20 Zentimeter langen Dolch zum Aderlass auch einen Trinkbecher mit 75 offensichtlich seriell gefertigten, röhrenförmigen Pellets mit jeweils gleicher Form und Grösse. Eine genauere Analyse zeigte: Es handelt sich um Rohmaterial für die Herstellung des Pigments Maya-Blau.

Mit diesem Pigment hätten die Maya Menschen bemalt, die sie für den Regengott Chaac töten wollten, sagt Seefeld. In dieser Form habe man es hier aber zum ersten Mal gefunden. Das alles spreche dafür, dass die Menschen Chaac geopfert wurden. Dieser gilt als einer der ältesten und wichtigsten Götter der Maya; dargestellt wird er häufig mit langer Nase und blauer Haut. Neben dem Regen war er unter anderem für die Fruchtbarkeit zuständig.

Tote Kinder waren teils enge Verwandte

Von weiteren Erkenntnissen berichten andere Forscher aktuell in «Nature». Sie haben Knochen aus Chichén Itzá untersucht, einer Metropole der Maya in ihrer sogenannten Spätzeit ab dem neunten Jahrhundert nach Christus. In ihr finden sich viele Belege für rituelle Menschenopfer.

Eine Steinplattform in der Stadt ist etwa mit einem Schädelrelief verziert. Die Maya von Chichén Itzá präsentierten die Köpfe geopferter Menschen in hölzernen Gestellen, sogenannten Tzompantlis. Auch das Relief zeigt aufgespiesste menschliche Schädel.

Im Cenote Sagrado, einem riesigen, runden Wasserloch in der Nähe, wurden die Knochen von mehr als 200 Menschen gefunden, darunter Männer, Frauen und viele Jugendliche.

Nahe diesem Cenote wurde schon 1967 eine Zisterne entdeckt, in der ebenfalls menschliche Überreste lagen: Mehr als hundert Kinder waren dort zwischen dem siebten und dem zwölften Jahrhundert nach Christus beigesetzt worden; manche von ihnen waren nur drei Jahre alt geworden.

Die Knochen der Kinder hat nun ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern untersucht. Die Wissenschaftler stiessen auf mehrere Überraschungen. So waren, anders als im Cenote, alle untersuchten Individuen aus der Zisterne männlich.

Knochenanalysen zufolge handelt es sich nicht um verschleppte Kinder von ausserhalb; sie alle stammten aus der Region. Mindestens ein Viertel der Kinder war eng verwandt mit einem anderen Kind im selben Massengrab. Die Verwandten waren ähnlich ernährt worden, also wohl gemeinsam aufgewachsen, und in einem ähnlichen Alter gestorben.

Die «Heldenbrüder» Hunahpú und Ixbalanqué

Die Forscher identifizierten zwei eineiige Zwillingspaare. Sie schliessen daraus, dass die Maya gezielt Paare von miteinander verwandten männlichen Kindern opferten – und beziehen das auf die Erzählung von den «Heldenbrüdern» Hunahpú und Ixbalanqué.

Deren Legende ist einer der wenigen schriftlich überlieferten Mythen der Maya und steht für die Vorstellung, dass die Welt geprägt ist von Zyklen der Zerstörung und der Wiedergeburt.

Der Legende nach steigen die beiden Brüder in die Unterwelt Xibalbá hinab. Dort bestehen sie verschiedene Prüfungen, bei denen sie teils sterben und wieder auferstehen. Am Ende überlisten sie die Götter der Unterwelt und werden zu Sonne und Mond. Im Kern besagt der Mythos, dass der Tod nicht endgültig, sondern zu besiegen ist.

Der Kult der Zwillingsbrüder war im Mayagebiet verbreitet; auch bei Chichén Itzá gab es eine Kultstätte. Womöglich wurden die Kinder in der Zisterne also in Ritualen geopfert, die mit dieser Legende zu tun hatten.

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